
Angesichts steigender Mieten und eines akuten Mangels an bezahlbarem Wohnraum steht Deutschland vor einer enormen Herausforderung. Um den Bau von Wohnungen zu beschleunigen und Kosten zu senken, rückt eine altbekannte Methode wieder in den Fokus der Politik: das Bauen mit vorgefertigten Modulen. Doch während die Idee vielversprechend klingt, kämpft sie in Deutschland mit einem erheblichen Imageproblem. Ein Blick nach Kanada zeigt, wie ein anderer G7-Staat plant, diese Bauweise im großen Stil zu fördern.
Die Last der Vergangenheit: Das Stigma des Plattenbaus
In Deutschland ist der Fertigbau untrennbar mit der Nachkriegszeit verbunden. Um den damaligen Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen unterzubringen, wurden massenhaft Wohnungen aus Betonfertigteilen errichtet. Diese als „Plattenbauten“ bekannten Siedlungen prägten ganze Stadtteile. Nach 1989 gerieten viele dieser Viertel jedoch in Verruf, wurden zu sozialen Brennpunkten und litten unter sichtbarem Verfall. Dieses negative Erbe belastet die aktuelle Debatte. Die zentrale Frage für die Politik lautet daher: Wie kann man die moderne Fertigbauweise in das bestehende Stadtbild integrieren und gleichzeitig ihr überholtes Image modernisieren?
Ein Blick über den Atlantik: Kanadas ambitionierter Plan
Deutschland ist mit dieser Herausforderung nicht allein. Auch Kanada kämpft mit einer schweren Wohnungskrise, die durch ein starkes Bevölkerungswachstum von 20 Millionen in den 1970er-Jahren auf heute über 41 Millionen verschärft wird. Murtaza Haider, Geschäftsführer des neuen Cities Institute an der University of Alberta, bringt es auf den Punkt: „Trotz bester Absichten ist es uns nicht gelungen, das Tempo und den Umfang des Wohnungsbaus zu erhöhen. Der einzige Weg, das zu ändern, ist, etwas radikal anderes zu versuchen.“
Dieses „radikal andere“ ist für die kanadische Regierung der Fertigbau. Mit einer neuen Initiative namens „Build Canada Homes“ (BCH) soll der Sektor massiv gefördert werden. Die Regierung argumentiert, dass modulares Bauen die Bauzeit um bis zu 50 %, die Kosten um bis zu 20 % und die Emissionen um bis zu 22 % im Vergleich zu herkömmlichen Methoden reduzieren kann.
Milliardeninvestitionen und klare staatliche Steuerung
Um den Wandel voranzutreiben, scheut Kanada keine Kosten. Die Regierung plant, die Branche mit 25 Milliarden Dollar an Fremdkapital und einer Milliarde Dollar an Eigenkapital zu unterstützen. Der Staat will dabei eine aktive Rolle einnehmen: Durch Großaufträge an Hersteller soll eine stabile und langfristige Nachfrage geschaffen werden. Dies soll innovativen kanadischen Unternehmen Planungssicherheit geben. Zudem liegt ein Fokus auf der Nutzung heimischer Ressourcen wie Massivholz und der Schaffung neuer Ausbildungsplätze, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Die Regierung holt derzeit bis Ende August aktiv Feedback von Experten, Forschern und Investoren ein, um die Strategie zu finalisieren.
Globale Vorbilder und die deutsche Perspektive
Obwohl auch in Kanada Skepsis herrscht, da frühere Versuche scheiterten, den Fertigbau in großem Maßstab zu etablieren, gibt es internationale Erfolgsgeschichten. Haider verweist auf eine Studie, die zeigt, dass Japan jährlich zwischen 90.000 und 100.000 Wohnungen in Fertigbauweise errichtet.
Für Deutschland liegt die Herausforderung nicht nur in der technischen Umsetzung, sondern vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung. Der kanadische Ansatz, der auf massive staatliche Investitionen, gezielte Nachfragesteuerung und eine klare Kommunikation der Vorteile setzt, könnte dabei als Blaupause dienen. Um die Wohnungsnot zu lindern, muss es gelingen, das veraltete Bild des grauen Plattenbaus durch das eines modernen, nachhaltigen und kosteneffizienten Zuhauses zu ersetzen.