
Die deutsche Wirtschaft sieht sich mit einer doppelten Belastung konfrontiert: Ein unerwartet starker Einbruch der Industrieproduktion im August schürt akute Rezessionsängste, während eine neue Prognose einen drastischen Anstieg der Staatsverschuldung in den kommenden Jahren voraussagt.
Stärkster Produktionsrückgang seit der Ukraine-Krise
Die deutsche Industrieproduktion ist im August so stark gefallen wie seit März 2022 nicht mehr. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte, sank die Produktion im Vergleich zum Vormonat um 4,3 %. Dieser Wert liegt weit unter den Erwartungen von Analysten, die lediglich mit einem Rückgang von 1,0 % gerechnet hatten.
Besonders betroffen war die Automobilindustrie, Deutschlands größter Industriezweig, mit einem Produktionsminus von 18,5 %. Laut Statistikamt ist dies auf eine Kombination aus jährlichen Werksferien und Produktionsumstellungen zurückzuführen. Ein weiterer entscheidender Faktor war das Nachlassen der Nachfrage aus den USA, dem wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Unternehmen hatten in den Vormonaten ihre Käufe vorgezogen, um den von der damaligen US-Regierung unter Donald Trump verhängten Zöllen zuvorzukommen. Diese „Frontloading“-Effekte sind nun ausgelaufen.
Experten warnen vor Rezession
Wirtschaftsexperten zeigen sich besorgt. Carsten Brzeski, globaler Makro-Chef bei ING, bezeichnete die Daten als „äußerst enttäuschend“. Er erklärte, der scharfe Rückgang erhöhe das Risiko, dass die deutsche Wirtschaft nach einem Schrumpfen von 0,3 % im zweiten Quartal erneut ein negatives Wachstum verzeichnen könnte. Damit würde sich Deutschland technisch in einer Rezession befinden.
Auch Ralph Solveen, leitender Volkswirt bei der Commerzbank, sieht in den Zahlen ein Indiz dafür, „dass die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal kaum gewachsen ist“. Franziska Palmas von Capital Economics fügte hinzu, dass die geringen Produktionszuwächse vom Jahresanfang nun vollständig zunichtegemacht seien. Die Gesamtproduktion liege mittlerweile 12 % unter ihrem letzten Höchststand vom Februar 2023. Obwohl die Daten für September noch abgewartet werden müssen, deuten auch die zuletzt gesunkenen Industrieaufträge darauf hin, dass eine Trendwende vorerst nicht in Sicht ist.
Langfristige Sorgen: Staatsverschuldung soll EU-Grenze überschreiten
Zu den kurzfristigen konjunkturellen Sorgen gesellen sich langfristige fiskalische Herausforderungen. Laut einer Prognose des Stabilitätsrats, der die Finanzen von Bund und Ländern koordiniert, wird die deutsche Staatsverschuldung bis zum Jahr 2029 voraussichtlich auf 80,25 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ansteigen. Im vergangenen Jahr lag die Quote noch bei 62,5 %. Die Fiskalregeln der Europäischen Union sehen eine Obergrenze von 60 % vor.
Als Hauptgrund für den prognostizierten Anstieg gelten die geplanten Mehrausgaben für Verteidigung und Infrastruktur. Der Stabilitätsrat rechnet damit, dass das Haushaltsdefizit bis 2026 auf 4,75 % des BIP steigen könnte, was ebenfalls die EU-Vorgabe von 3 % deutlich verletzen würde. Um Strafmaßnahmen zu vermeiden, hat Deutschland eine nationale Ausnahmeregelung für die gestiegenen Verteidigungsausgaben beantragt.
Finanzminister Christian Lindner betonte die Notwendigkeit, trotz der Herausforderungen für solide öffentliche Finanzen zu sorgen. „Gerade im Interesse künftiger Generationen müssen wir in Zukunftsfähigkeit, Wirtschaftskraft und Sicherheit investieren“, so Lindner. Er forderte eine Konsolidierung der Haushalte von Bund und Ländern, um die finanzielle Stabilität zu gewährleisten.